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Bordeaux 2022: Reisebericht unserer ersten En Primeur-Verkostung

Zugegeben, ich war aufgeregt, als mich die Einladung zu meiner ersten En Primeur-Verkostung nach Frankreich erreicht hatte. Zwar faszinieren mich seltene Weine schon seit vielen Jahren, doch noch nie zuvor durfte ich die Wein-Raritäten von u. a. Château Lafite-Rothschild, Château Haut-Brion, Château Cheval Blanc oder Château Montrose direkt auf dem Weingut verkosten. Außerdem sollte es eine besondere Reise werden, schließlich war bereits in der Fachpresse von einem regelrechten „Jahrhundertjahrgang“ die Rede, welcher viele 100-Punkte-Weine nach sich ziehen würde.

Am Sonntag, den 23. April 2023 war es dann so weit: Gemeinsam mit Klaus-Dieter („KD“) und Peter ging es von Deutschland aus über Paris nach Bordeaux. Bereits während der Fahrt haben wir viel über die klimatischen Bedingungen in 2022 gesprochen. Das Jahr war das trockenste Jahr seit 2003. Dabei haben Hitze und wenig Regen den Zeitraum ab Juni geprägt. Dementsprechend haben wir uns u. a. die Frage gestellt, ob die Weinreben möglicherweise unter dem gefürchteten Trockenstress gelitten haben, der wiederum die Reifung der Weintrauben verhindert?!

Natürlich war auch die Zusammenfassung von Jean-Marc Quarin ein viel diskutiertes Thema. Der Wein-Journalist und anerkannte Bordeaux-Experte hatte bereits Großes vorhergesagt: „Vergessen Sie das Jahr 2003. Vergessen Sie das Jahr 1982! Der Bordeaux-Jahrgang 2022 hat die Weichheit von 1959 und die Kraft der Tannine von 1961.“ Dementsprechend groß war die Vorfreude auf die bevorstehende En Primeur-Verkostung.

Nach unserer Ankunft auf Château la Renommée haben wir die Gemeinde Saint-Laurent-des-Combes zu Fuß erkundet, ehe wir uns im Anschluss mit einem 2007er Château Cos D’Estournel auf die bevorstehenden Tage eingestimmt haben.

Möge die Arbeit beginnen: Im 30-Minuten-Takt ging es von Verkostung zu Verkostung

Wir sind mit der Verkostung am rechten Ufer gestartet. Am Montagmorgen um 09:00 Uhr hatten wir also direkt einen Termin mit Constance Durantou von Château L’Église Clinet. Zwar musste ich mich erst einmal eingrooven und herausfinden, wie ich die Verkostung der Weine, das Fragenstellen und Fotografieren gleichzeitig unter einen Hut bekomme, doch bereits hier war klar: Sowohl der Grand Vin, als auch der Zweitwein, La Petite Église, haben großes Potenzial! Als nächstes ging es zu Vieux Château Certan, wo die ersten 98-100 Punkte auf meinem Zettel standen.

Bis zum Mittagessen auf Château La Conseillante haben wir u. a. die Weine von Château L’Evangile, Château Canon und Château Nénin verkostet, die alle auf ihre Art und Weise brillant sind und großartige Genussmomente mit sich bringen. So ist auch der Grand Vin von La Conseillante geprägt von einer irren Komplexität im Zusammenspiel mit frischen Früchten. Doch obgleich auch die ersten beiden Tage geprägt waren von so vielen großartigen Weinen, wie z. B. Tertre Roteboeuf, Château Troplong Mondot oder Château Cheval Blanc, so war es vor allem der Rotwein von Château Figeac, der großes Potenzial mit sich bringt: Im Glas ein kraftvolles Dunkelrot, sommerliche Frische in der Nase und viel Frucht im Geschmack.

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Am Mittwochmorgen hieß es früh aufstehen. Wir hatten einen straffen Zeitplan und so führte uns unsere Route vorbei an Bordeaux in Richtung linkes Ufer, wo in den kommenden Tagen u. a. die fünf Premier Grand Cru Classés auf uns warteten.

Unseren ersten Zwischenstopp haben wir im Weinbaugebiet Pessac-Léognan eingelegt, um die Weine von Château La Mission Haut-Brion, Château Les Carmes Haut-Brion und Château Haut-Bailly zu verkosten. Und um ehrlich zu sein, als ich um 09:15 Uhr meine Nase in das Glas Château Haut-Brion (100 Punkte) gehalten habe, ging mir nur eine Frage durch den Kopf: Wie kann dieser verführerische Duft von Veilchen, dunklen Beeren, exotischen Gewürzen und einem Hauch Eukalyptus nur „Arbeit“ sein?

Die darauf folgenden 48 Stunden hatten es in sich und so ging es Schlag auf Schlag: Wir haben u. a. Château Margaux, Château Mouton Rothschild, Château Pontet-Canet, Château Calon Ségur, Château Lafite-Rothschild, Château Latour und Château Cos d’Estournel verkostet. Aufgrund der Vielzahl an Informationen habe ich mich dazu entschlossen, meine gesammelten Eindrücke und Verkostungsnotizen in den kommenden Wochen als einzelne Artikel in unserem Weinblog zu veröffentlichen. Ich empfehle Dir daher unseren Newsletter zu abonnieren, um nichts zu verpassen!

Eines muss ich jedoch noch loswerden: Während auf der UGC-Verkostung viele der kleineren Weingüter aus dem Anbaugebiet Saint-Estèphe mit starken Tannine zu kämpfen hatten, hat Château Montrose mal wieder bewiesen, warum die Weine seit Jahren zu den besten des Bordelais gehören. Bereits der Zweitwein, La Dame de Montrose, hat unglaublich Spaß gemacht. Die Balance war großartig, das Tannin glatt geschliffen und poliert. Keine Frage, dass beim Grand Vin erneut 100 Punkte auf meinem Zettel standen.

Es stimmt, der Bordeaux Jahrgang 2022 gehört zu den größten aller Zeiten

Bereits auf unserer Rückreise waren wir uns einig: Es stimmt, Jean-Marc Quarin hatte nicht zu viel versprochen und der Bordeaux Jahrgang 2022 gehört zu den größten aller Zeiten. Grund hierfür sei vor allem die Natur, ist sich Pierre-Oliver Clouet, Winemaker Château Cheval Blanc, sicher. Zwar ist in der Fachpresse die Rede von dem heißesten Sommer, den Frankreich seit Beginn der Aufzeichnung zu verzeichnen hatte, doch die Reben hätten sich sehr gut an die klimatischen Bedingungen angepasst. Die Beeren sind sehr klein geblieben, was zwar für hohe Tanninwerte, aber auch für eine hervorragende Qualität gesorgt hat, die auch viele Wein-Kritiker begeisterte.

Beispielsweise hat James Suckling den aktuellen Jahrgang insgesamt dreißigmal mit 99 und 100 Punkten bewertet, wobei das von Robert Parker gegründete Magazin, The Wine Advocate, insgesamt vierzehnmal die Höchstpunkte vergeben hat. Doch wie heißt es so schön: „Es ist nicht alles Gold, was glänzt.“ Zwar haben die klimatischen Bedingungen der Qualität nicht geschadet, jedoch wurden teilweise bis zu 30 Prozent weniger Erträge eingefahren. Dementsprechend sind viele der ohnehin schon seltenen Weine noch stärker limitiert als sonst und das hat sich auch auf den Preis ausgewirkt.

3 Gründe, warum ich die Bordeaux 2022 En Primeur-Reise nie vergessen werde

Am Ende meiner ersten En Primeur-Reise gibt es viele Highlights, durch die ich den Bordeaux Jahrgang 2022 garantiert für immer im Gedächtnis behalten werde. Jedoch möchte ich Dir gerne etwas mehr über mich verraten, sodass ich nachfolgend auf meine Top 3 der ganz persönlichen Gründe eingehe:

1. Grund: Château Cheval Blanc und die florale Frische im Weinglas

Als Hobby-Winzer und -Imker verfolge ich die Geschichte von Château Cheval Blanc schon lange, da mich der dort etablierte Naturkreislauf fasziniert. Um so mehr habe ich mich gefreut, als wir bei unserem Besuch durch den Kräutergarten in Richtung Weinkeller gelaufen sind. All die Pflanzen und Düfte, einmalig! Doch was mich total überrascht hat, der Château Cheval Blanc 2022 präsentierte bei unserer Verkostung all diese Aromen im Glas: schwarze Früchte, begleitet von wilden Blumen und mineralischen Anklängen. Am Gaumen hingegen war der konzentrierte Rotwein sehr weich, ausgewogen und köstlich!

2. Grund: Die Verkostung auf Château Latour und die Diagnose Krebs

Dass Wein-Liebhaber den Kauf seltener Weine mit einer Geschichte verbinden, das ist keine Seltenheit. Bei meinem „Wein-Moment“ handelt es sich jedoch nicht um die Geburt der eigenen Kinder, sondern um eine schwerwiegende Diagnose für meine Mutter. So stand ich gerade im Verkostungsraum auf Château Latour und probierte die Jahrgänge 2015 und 2022, da häuften sich die Anrufe in Abwesenheit auf meinem Smartphone.

Nach der Verkostung habe ich dann mit meiner Mutter telefoniert, um zu erfahren, dass sie Krebs hat. „Es ist kaum zu glauben, wie nah sich Himmel und Hölle sein können“, sagte ich unter Tränen zu Klaus-Dieter und Peter, während wir im Auto saßen und auf dem Weg zu Château Montrose waren.

3. Grund: Meine beiden „Wein-Mentoren“ und ihre Leidenschaft

„Last, but not least“ wären da noch meine beiden Wein-Mentoren: Klaus-Dieter und Peter. Die beiden haben sich nicht nur jede Menge Zeit genommen, mir all meine Fragen zu beantworten, sie haben es sich auch zur Aufgabe gemacht, für die Abende in unserem Apartment, eine weltweite Verkostung gereifter Weine zusammenzustellen. Dementsprechend durfte ich während unserer Bordeaux-Reise so viel über das Thema „Wein“ lernen, wie noch nie zu vor in meinem Leben. Und natürlich gab es auch jede Menge zu lachen, wie z. B. nach unserem Besuch auf Château Petrus, doch dazu ein andermal mehr…

© Bilder: Kim-Christopher Granz, SelteneWeine.de

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